In einem Interview mit der TAZ (Wochentaz, 4.-10. Februar 2023, Seite 11) antwortet Mamphela Ramphele, südafrikanische Ärztin, Geschäftsfrau und Politikerin, auf die Frage ihrer Prägung durch den Kampf gegen die Arpartheid:
Wir haben uns selbst befreit: Wir haben verstanden, dass die schwarze Bevölkerungsmehrheit nur deshalb von der weißen Minderheit unterdrückt werden konnte, weil sie die weiße Vorherrschaft akzeptiert hat. Die weißen Rassisten hatten die Waffen, aber sie brauchten auch die Duldung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit. Das Black Consciousness Movement, das wir als Studenten ins Leben riefen, mobilisierte Menschen im ganzen Land, sich aus der mentalen Sklaverei zu befreien.
Es bietet sich an den Begriff der mentalen Sklaverei auf Diskriminierungen zu übertragen, gerade wenn sie systematisch verankert und beständig, also lang andauernd bestehen bleiben. Was für das Leben in der Apartheid galt, trifft auch auf viele behinderte Menschen zu: Sie dulden es benachteiligt und ausgeschlossen zu werden. Wenn die Arztliege nicht höhenverstellbar ist, nimmt man es hin. Wenn nur ein Drittel der Restaurants zugänglich ist, wird das als normal erlebt. Wenn es eine mehrsprachige und barrierefreie Speisekarte auch für Blinde gibt, so wird das besonders gelobt als sollte es nicht die Regel sein. Das sind nur wenige von vielen Beispielen, wie sie sich täglich abspielen für Behinderte, die durch solche Umwelteinflüsse erst zu Behinderten gemacht werden.
Sich aus der mentalen Sklaverei zu befreien, beginnt also im Denken. Wir können uns als behinderte Menschen nur dann selbst befreien, wenn wir die alltäglichen Diskriminierungen nicht als normal akzeptieren. Es braucht mehr Unduldsamkeit gegenüber ausgrenzenden Barrieren. Das ist anstrengend. Für tatsächliche Veränderungen, das Drehen am großen Rad in der Politik, brauchen wir aber mehr Mobilisierte, die sich trauen ihre Ungeduld offen zu zeigen, immer wieder in alltäglichen Situationen. Diese nicht zu meiden, ist der Beginn der Freiheit für dich und mich.
Klar, nicht immer will ich Vorkämpfer*in sein: das Leben genießen ohne immer nur auf diese eine Eigenschaft „ich werde behindert“ reduziert zu werden oder sich selber zu reduzieren, wo ich als Mensch doch noch viel mehr zu bieten habe mit anderen Interessen und Hobbys. Und doch, jedenfalls mit einer sichtbaren Beeinträchtigung, lässt sich dieser Anzug nicht so einfach ablegen. Ich werde eben von den meisten anderen Menschen durch eine bestimmte Brille gesehen, die Teil der gesellschaftlichen Realität einer „Apartheid“ ist. In Kontakt mit Menschen im Alltag kommt es immer wieder zu beschämenden oder als übergriffig erlebten Situationen: Wenn jemand von hinten am Rollstuhl anpackt und schieben will. Wenn ein Fremder als erstes fragt, wie ist das denn passiert. Solche Situationen können einfach nur nerven, wenn man eigentlich mit etwas ganz anderem beschäftigt ist. Ich schalte da manchmal auf Igno und ignoriere den anderen Menschen. Gut ist das nicht. Die „mentale Sklaverei“ liefert mir nun ein zusätzliches Argument mal geduldig mal mehr ungeduldig in die Kommunikation zu gehen. Und ich glaube das kann befreiend wirken, vielleicht sogar für beide Seiten.
Veröffentlicht auch auf Kobinet am 08.02.2023