5: WüSL-Wahlprüfsteine aus meiner grünen Sicht

Screenshot von wuesl.de

Mein persönlicher Countdown: Noch 5 Tage bis zu den bayerischen Kommunalwahlen.

Als Aktiver bei WüSL habe ich die Fragen der Wahlprüfsteine mitformuliert. WüSL hat in einer Pressemitteilung nur einige zentrale Antworten wiedergegeben, sich mit Bewertungen aber zurückgehalten. Als Kandidat der Grünen, ich spreche hier also nicht für WüSL, kann ich meine eigenen Bewertungen abgeben, was ich im Folgenden tue.

Zunächst ist positiv anzumerken, dass 9 von 11 Parteien und Gruppierungen, die zur Stadtratswahl in Würzburg antreten, auch geantwortet haben und sich somit den Fragen stellten. Antworten schuldig blieben nur die WL (Würzburger Liste) sowie die AfD.

In der WüSL Pressemitteilung sind vor allem Aussagen aufgezählt, die eher positiv zu verstehen sind. Ich möchte nun den etwas kritischeren Blick aus Grüner Sicht, aber auch aus meiner eigenen zum besten geben. Für die CSU hat Oberbürgermeister (gleichzeitig Kandidat) Christian Schuchhardt (CDU) geantwortet, mit insgesamt sehr ausführlichen Antworten. Diese stehen also für die momentane Politik im Rathaus. Im folgenden gehe ich die 9 Fragen durch, versehen mit den Links zu den WüSL Wahlprüfsteinen jeweils in der Überschrift.

Frage 1 Selbstvertretung

Die CSU nennt niemanden auf der Liste mit Behinderung namentlich und nennt auch keine Zahl. Die Verfälschung des Grundsatzes der Selbstbestimmt Leben Bewegung in Deutschland und international „Nichts über uns ohne uns – Nothing about us without us“ mag man als Lapsus ansehen. Es wird Respekt eingefordert für Menschen (wir sprechen von Stadtratskandidat*innen), die „keinen offenen Umgang“ damit wünschen.

Sinn und Wichtigkeit der Selbstvertretung scheint mir nicht richtig verstanden zu sein.

Frage 2 Barrierefreiheit

Insgesamt differenzierte Antwort, welche die verschiedenen Facetten der Barrierefreiheit von Bauen bis Gebärdensprache oder Leichter Sprache anspricht.

Der letzte Satz der Antwort, dass OB Schuchhardt „Mehrheiten für eine behindertengerechte Politik“ brauche erscheint mir aber daneben. Behindertengerecht ist eine veraltete Bezeichnung, die zurecht durch den gesetzlich definierten Begriff Barrierefreiheit abgelöst wurde. Wenn Mehrheiten für Barrierefreiheit im Stadtrat nicht zustande kamen, lag das immer entscheidend an der CSU.

Frage 3 Arbeit

Hier werden zunächst die Zahlen der behinderten Beschäftigten bei der Stadt Würzburg samt Eigenenbetrieben geliefert. Es werden Beispiele gelungener Teilhabe am Arbeitsleben geliefert und die Arbeitskraft an Beispielen positiv und wertschätzend bschrieben.

Nicht begriffen ist aber der segregierende Charakter der Werkstätten für Menschen mit Behinderung, die eben keine sozialversicherungspflichtige Jobs sind und Arbeit nicht selten nur für ein geringes Taschengeld weit unter Mindestlohn geleistet wird. Die UN hat zu diesem Bereich mehrfach „tiefe Sorge“ über diese Zustände zum Ausdruck gebracht, ohne dass dies in Deutschland gehört wird oder gar zu Veränderungen führt.

Frage 4 Wohnen

Hier finde ich vor allem interessant, dass die CSU Bauauflagen für Vorhaben privater Investoren ins Spiel springt.

Bei Neubauten müssen sowieso gesetzliche Mindeststandards nach der Bayerischen Bauordnung eingehalten werden. Die genannten Auflagen machen also nur Sinn, wenn sie die bestehenden Standards übersteigen. Das ist nicht im Rahmen der Baugenehmigung möglich, denn hier hat der Bauwerber Rechtsansprüche, sondern muss durch die Stadt bei Bebauuungsplänen festgelegt werden. Da bin ich gespannt, was die CSU noch vorschlägt.

Frage 5 Mobilität

Bei der Mobilität werden von der CSU vor allem die Anschaffung der neuen Straßenbahnfahrzeuge und die Klapprampen für Rollstuhlfahrer genannt. Das Geld solle für alle Bereiche bestmöglich ausgegeben werden ohne auf eine Thema zu versteifen.

Der Antwort ist zu entnehmen, dass OB Schuchhardt und die CSU weiterhin keinen Termin nennen wollen, wann alle Haltestellen ausgebaut werden. Im derzeitigen Tempo kann es noch rund 30 Jahre dauern, wenn hier keine Priorität gesetzt wird.

Frage 6 Bildung

Hier setzt die CSU aufs Elternwahlrecht und auf die Sanierung der Schulen. Es werde bei der Schulwahl in eine nicht barrierefreie Schule auf indivividuelle Lösungen gesetzt.

Das Elternwahlrecht ist gar nicht Teil der UN Behindertenrechtskonvention, sondern im Fokus steht ein inklusives Schulsystem, dem sich Bayern immer noch verwehrt. Richtig ist aber, dass die Stadt nur im Rahmen als Sachaufwandsträger an Schulen für bauliche Änderungen oder auch Lehr- und Lernmittel zuständig ist.

Frage 7 Kultur

Hier wird eine lange Reihe von Erfolgen aufgezählt. Als größter Mangel wird die Nichterreichbarkeit der Marienburg genannt.

Auch wenn Fortschritte unbezweifelt sind, wird hier doch arg geschönt und die Hürden der Teilhabe, die es immer noch in vielen Kulturstätten gibt nicht wahrgenommen

Frage 8 Inklusive Gesellschaft und Teilhabe

Eine Antwort, die sich gut anhört. Ich finde es auch gut den Stellenwert einer inklusiven Gesellschaft an den Mitbürgerinnen und Mitbürgern aufzuhängen.

Was man sich hier hätte erwarten können, ist es doch etwas konkreter auf den Aktionsplan Inklusion hinzuweisen. Leider scheint mir dessen Abarbeitung zunehmend zu stocken; Berichte über die Umsetzung der Maßnahmen bleiben aus oder sind reichlich unkonkret.

Frage 9 Unabhängige Beratung

Lasse ich aus wegen eigener direkter Betroffenheit.

Frage 10 Selbstbestimmung

Diese letzte Frage ist eine, an der sich die Geister sicher am meisten scheiden. Das Fürsorgemodell aus den 60er Jahren hat sich in Deutschland bei diesem Thema bis heute gehalten. Die Einschränkungen, die ein Leben im Heim, nicht nur in einer Lebensphase, sondern fürs ganze Leben mit sich bringen, können kaum hoch genug eingeschätzt werden. Da muss man gar nicht von den ganz schlimmen Dingen, wie Übergriffen und Missbrauch sprechen, die an jedem Ort vorkommen können. Allein die Einschränkung der Wahlfreiheiten führen zu Hospitalisierung, Verkümmerung von sonst natürlicher Neugier, der Entwicklung des Bedürfnisses selber das Leben zu gestalten und nicht alles abgenommen und strukturiert zu bekommen. Wenn der amtierende Oberbürgermeister noch im Februar 2020 bei einer Veranstaltung im Ratssaal von Würzburg als „Hauptstadt der Einrichtungen“ sprach und dies offensichtlich positiv meinte, so zeigt er damit deutlich, dass er Kritik an Behinderteneinrichtungen nicht Ernst nimmt.

Kurzfazit

Eine Gesamtbeurteilung will ich mir hier nicht erlauben, denn diese müsste detaillierter ausfallen. Aber ich will doch meinen Eindruck wiedergeben, dass man doch ganz deutlich die politische Ausrichtung bei den Antworten spüren kann. Es ist also nicht so, dass in diesem Feld eh alle gleich denken und gleich handeln.

Die Grünen, die SPD und die Linken, vielleicht noch die ÖDP, scheinen mir eine ähnliche Grundausrichtung zu vertreten, die einer modernen zeitgemäßen Behindertenpolitik auf Basis von Menschenrechten nahe kommt.

Die traditionell eher konervativen Parteien und Gruppierungen scheinen mir in diese Richtung leicht aufgeholt zu haben, aber wenn es ans Eingemachte geht, merkt man eben doch, dass es hier an der nötigen Konsequenz fehlt und noch paternalistisches Denken vorherrscht, wo man die meisten behinderten Menschen nicht bereit ist auf Augenhöhe anzuerkennen.

Zum Schluss will ich noch feststellen, dass es sich bei den Einschätzungen hier um meine persönlichen Meinungen handelt, die ich zwar mit vielen Grünen so ähnlich teile, aber sicher nicht mit allen.

Im nächsten Countdown möchte ich den Bogen schlagen von der inklusiven Gesellschaft in Bezug auf Behinderung zu anderen Themen des Zusammenhalts und einer konsequenten Haltung gegen Rechts.

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